Dracula für Fortgeschrittene

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Es gibt einen verborgenen Ort, an den kommt kaum ein Normalsterblicher. Nur Eingeweihte finden ihn. An jenem Ort leiden Menschen. Diese sollen sich von Sonnenlicht fern halten. Um ihr Leid zu lindern oder sogar ihr Überleben zu sichern, wird ihnen Blut verabreicht. Das Szenario ist real! Jedoch liegen diese Menschen tagsüber nicht in abgedunkelten Zimmern mit Särgen. Es handelt sich nicht um Vampire, die unter dem Bann von Graf Dracula stehen. Es sind Krebspatienten, deren Blutwerte nicht normal sind. Oft nehmen sie sogar lebensbedrohliche Ausmaße an. Und nur am Rande: Das mit der Sonne ist auch kein Witz, denn eine Chemotherapie belastet die Haut sehr stark, so dass selbst geringe Dosen an UV-Licht schädigen können.

Zurück zum Thema: Blutkonserven sind ein wichtiger Bestandteil bei unterschiedlichen Krebs-Therapien. Ganz besonders bei einer Leukämie. Es gibt verschiedene Blutpräparate, die von Blutbanken aufbereitet und bereit gehalten werden. Je nach Situation kommt das entsprechende Präparat zum Einsatz. Wie schon in „Unser täglich Krieg“ erklärt, gibt es drei Hauptbestandteile des Blutes. Die pazifistischen Teile von ihnen, Thrombozyten und Hämoglobin, können nach Bedarf einzeln zugeführt werden. Leukozyten wären zu aggressiv und würden bildlich alles kaputthauen. Sie scheiden aus.

Blut, oder dessen Bestandteile, sind bei einer Chemotherapie aber noch lange nicht alles, was ein Patient verabreicht bekommt. Er oder Sie bekommt zahlreiche Medikamente* zugeführt. Es sind so viele Präparate, dass die Verabreichung parallel läuft. Klar, einmal über den Mund, also oral. Da kommt einiges zusammen. Und es gibt vor allem bei den Chemo-Präparaten einige, die Magen und Darm schädigen würden. Zu dem spielt bei manchen Therapien auch der zeitliche Faktor eine Rolle. Würde ein Medikament erst durch Magen und Darm aufgenommen, wäre die zeitliche Verzögerung bei jedem Patient eine andere und der Wirkzeitraum schwierig für die Mediziner vorherzubestimmen. Also haben sich vor einiger Zeit kluge Leute etwas cleveres ausgedacht: Den Zentralen Venen Katheter (ZVK).

Dabei handelt es sich um eine spezielle Art Infusionsnadel, die direkt in die Hauptvene am Hals gelegt wird. Sie besitzt sogar drei Zugangsschläuche für mehrere parallele Verabreichungen. Die Hauptvene liegt am Hals direkt neben der Schlagader. Die Lage des ZVK ist deshalb so ideal, weil die Infusionen kurz vor dem Herzen in die Blutbahn gelangen. Ein paar Zentimeter weiter, in der Herzkammer, werden körpereigenes Blut und Infusionsmittel richtig gut verwirbelt, so dass eine ideale Durchmischung statt findet.

Am Hals unter dem Pflaster liegt der ZVK. Das Pflaster wurde regelmäßig gewechselt, um die Infektionsgefahr klein zu halten. Der ZVK sollte aus dem selben Grund regelmäßig gewechselt werden (ca. 6-8 Wochen). Hier auf dem Foto erkennt man noch gut meine Kortison-Pausbacken im abklingenden Stadium.
Solch ein mobiler Medikamentenständer ist ein dauerhafter Begleiter - Tag und Nacht ist er mit dem ZVK verbunden. Dieses Exemplar hier ist aber fast noch leer. Während einer Chemotherapie hängen an ihm viel mehr Infusionen und Geräte dran. Meinen taufte ich Fifi. Blöderweise gehorchte er nicht. Er kam nie von der Stelle. Man musste ihn immer voranschieben.

©Leukofight

Während der Therapie hatte ich neben den Medikamenteninfusionen häufig Blutkonserven erhalten. Während einer dieser hat es regelrecht Klick in meinem Kopf gemacht: Dieses gespendete Blut ist ein wichtiges Puzzleteil für mein Überleben. Ohne Blutspenden keine Therapie, ohne Therapie keine Überlebenschance. Nicht nur für mich, für sehr viele Krebspatienten während ihrer Therapie sind Blutspenden überlebenswichtig! Plötzlich spürte ich Dankbarkeit für all die unbekannten Spender. Neben dem stark ansteigenden wirtschaftlichen Egoismus gibt es doch noch viele Menschen, die etwas für die Gemeinschaft machen. Und sei es „nur“ durch eine Blutspende. Es wird Zeit, dass das Pendel unserer Gesellschaft wieder zurück schwingt, weg vom Egoismus, näher hin zum Altruismus. Denn nur gemeinsam  können wir stärker sein – nicht alleine.

Dann sah ich das rote Blut in meinen ZVK hineinlaufen und war gedanklich wieder wo ganz anders. Mein innerer Schelm war geweckt. Ich fragte mich, wieviel fremdes Bult nötig wäre, um ein Vampir zu werden? Ob Dracula von dem technologischen Fortschritt beeindruckt gewesen wäre? Also dem ZVK und den ausgeklügelten Verfahrensweisen mit Blutkonserven?

Sind die Zeiten auch noch so düster und ungewiss, der Humor muß erhalten bleiben, an diesem verborgenen Ort namens Uniklinik.

* Medikamente der Chemotherapie (meistens nicht nur eines), Medikamente gegen die Nebenwirkungen der vorangegangenen Medikamente (fast immer mehrere), salzhaltiges Wasser zur Unterstützung der Nieren, zuckerhaltiges Wasser zur Verdünnung bestimmter Medikamente, Antibiotika, Anti-Pilzmittel, Anti-Virenmittel, Spezialmedikamente (wie bei mir, wegen einer genetischen Besonderheit) und VIELES mehr.

Nochmal im Ernst: Wer es kann, sollte Blut spenden. Es gibt sehr viele Menschen (wie auch mich), die auf Blutpräparate angewiesen sind. Davon hängt sprichwörtlich unser Leben ab. Hier sind Links zur Blutspende Freiburg, deutschlandweit vom DRK, für die Schweiz und Österreich (Wien). Diese Auswahl ist nur stellvertretend für viele weitere Blutbanken, bei denen gespendet werden kann. 

Bitte denkt darüber ernsthaft nach, denn jede Spende zählt. Danke.

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