Horrorshow

Wer kennt nicht Alex und seine Horrorshow. Doch im Gegensatz zu dem Horror verbreitenden Alex in Roman und Film (Clockwork Orange), bin ich ein Alex, dem Horror widerfahren ist.

Wenn man so plötzlich vor dem Abgrund steht, der ja schon alleine horrorhaft genug wäre, und sich in einer neuen Situation auf unbekanntem Terrain befindet, kann man nicht alle neuen Informationen passend bewerten. Die Ärzte und das Pflegepersonal der Uniklinik Freiburg machen ihren Job richtig gut! Sie nehmen einen mental an die Hand, bauen einen auf, informieren genau über die Krankheit und erklären die kommenden Schritte der Therapie. Sie sagten mir, dass meine Chancen gut stehen* und sie alles in ihrer Macht stehende unternehmen, um mich durch die Therapie zu bringen, damit ich am Ende hier als geheilt heraus gehen könne. Die aufbauenden Worte der Fachkräfte wurden jedoch wie weggewischt, als ich vom Schicksal meines ersten Zimmernachbarn auf der Isolierstation erfuhr. Er – nennen wir ihn Günther – hatte fast die gleiche Art Leukämie wie ich. Es lief alles gut, Chemotherapie, dann Stammzelltransplantation und die lange Genesungsphase danach. Etwa ein Dreiviertel Jahr nach der Transplantation veränderten sich seine Blutwerte und wurden wieder schlechter. Ein Rückfall. Dann kam er sofort wieder für erneute Chemotherapien auf die Isolierstation. Mich schockierte weniger seine Geschichte, sehr viel mehr sein körperlicher und geistiger Zustand. Günther war ein Riese, ca. 1,95 Meter groß, sehr stark abgemagert, hatte keine Haare mehr und war so kraftlos, dass er für jeden gesprochenen Satz etwa eine Minute brauchte. Zudem fiel er rund 18 Stunden am Tag in eine Art dösenden Schlafzustand, in dem er Geräusche zwischen Stöhnen und Jammern von sich gab. Er zuckte auch oft und schien etwas zu murmeln. Ich fragte mich, von welchen Geistern er heimgesucht wird.

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Irgendwie musste ich mich aus dieser mentalen Spirale nach unten herausziehen. Der einzige Angriffspunkt für mich war die Einstellung gegenüber seiner Krankheit. Mir schien es so, als ob er aufgegeben hätte mit dem Kampf gegen die Krankheit. Eine Egal-Einstellung. Klappt es oder klappt es nicht – egal. Das konnte ich nicht nachvollziehen. Es ging ja schließlich um sein Überleben. Soweit werde ich es nicht kommen lassen. Nein, innerlich werde ich nicht aufgeben! Mein Entschluss steht fest: Ich drehe das ganze um 180° und liefere der Leukämie einen erbitterten Fight! Eine echte Horrorshow!

…und dann kommt von hinten eine kleine Stimme aus meinem Inneren, tippt mir zaghaft auf die Schulter und sagt: „Aber irgendwie hab ich trotzdem Schiss.“

*Falls keine unerwarteten Komplikationen auftreten, die Chemotherapie gut anschlägt und ein Stammzellspender gefunden wird, etc, etc. Weil in Deutschland alles so wunderbar geregelt ist, musste ich viele Einverständniserklärungen unterschreiben, damit die Ärzte mit der Behandlung beginnen konnten. Und weil alle Formulare ebenso wunderbar juristisch korrekt sein müssen, stand in diesen natürlich drin, dass die Therapie in seltenen Fällen und mit vielen * zum Tode führen kann und ich trotzdem einwilligen muss. Pistole auf die Brust. Zum Glück habe ich mir das Zeug erst hinterher durchgelesen. Das kann ich nur jedem empfehlen. In der Situation hat man ja keine andere Wahl.

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